Der Tag, an dem die Sonne starb
Wounded Knee - 29.12.1890


 

 

Am Neujahrstag des Jahres 1891 spielte sich der letzte Akt einer langen Tragödie ab.
Eine Gruppe von Männern, Zivilisten und Soldaten, ausgestattet mit Schaufeln und Pickeln, gruben Löcher 

in den Schnee und in das Eis nahe dem Wounded Knee Creek.
An den Tagen zuvor war ein Schneesturm über das Land gezogen.

Sie holten die Leichen von vielen Menschen hervor, welche sie anschließend in einer einzigen großen Grube beisetzten.
Sie fanden vier lebende Säuglinge, in die Decken ihrer toten Mütter gewickelt. Die anderen Kinder, deren Mütter und Väter waren tot.
Die Männer zogen die Leichen nackt aus, ehe sie diese in die Grube warfen. Sie wollten ein paar Andenken mitnehmen. Die weißen Männer entdeckten, dass manche der roten Krieger unter ihrer Kleidung jene „Geisterhemden" trugen, die angeblich unverwundbar machen.
Am 29.12.1890 – drei Tage zuvor – hatte an diesem Ort die siebente Kavallerie der US-Armee, jene siebente, die 14 Jahre vorher am Little Big Horn vernichtend geschlagen wurde, diese alte Rechnung wettgemacht. Weil nicht genügend Krieger anwesend waren, sahen sich die Soldaten genötigt, ersatzweise Frauen, Kinder und Säuglinge zu zerfetzen.

Für die Indianer hatte alles recht vielversprechend begonnen. Im Jahre 1889 entstand bei den Paiute im westlichen Nevada eine neue Religion, die sich noch im gleichen Jahr unter den Sioux verbreitete. Ein junger Paiute mit dem Namen Wovoka verkündete seinen roten Brüdern die wunderbare Erlösung. Er war in Trance gefallen, als die Sonne tot war (eine Sonnenfinsternis) und berichtete nachher davon, dass die Geister ihn emporgehoben hatten.
Er sprach davon, dass – vermutlich im Frühjahr 1891 – die Toten auferstehen würden. Die Büffel würden zurückkehren, die weißen Eroberer würden von der Erde getilgt und alle Indianer würden auf ewig leben.
Die neue Religion hatte auch Gebote. Sie lauteten: Keine Kriege, keine Kämpfe, keine Lügen und keine Grausamkeiten. Ein jeder Gläubige musste ein anständiges und tadelfreies Leben führen. Regeln – die uns aus anderen Religionen bekannt erscheinen!

Wer in den Genuss der versprochenen Erlösung gelangen wollte, war gezwungen, regelmäßig einen Tanz auszuführen: Mit roter Farbe bemalt, mussten die Anhänger des Kultes in einer schlurfenden, immer schneller werdenden, Gangart im Kreis tanzen und dazu Lieder singen und die Auferstehung preisen. Diesen „Geistertanz" hatte Wovoka bei einem Besuch in der Geisterwelt erlernt. Daher nannte man den neuen Kult die „Geistertanz-Religion". Der Name war von Weißen erfunden worden.
Kicking Bear, ein Mystiker der Sioux, war eigens bis Nevada gereist, um die neue Lehre Wovokas seinem Volk zu bringen. Sitting Bull indes war von dem neuen Kult nicht sehr begeistert: Er erlebte bei dem Tanz keine Offenbarung was ihn veranlasste zu sagen: „Ein toter Mann kann nicht zurückkehren und nochmals leben".
Jedoch tolerierte er diese Religion, da er den Glauben – in welcher Form auch immer – sehr achtete.

Eine Eigenschaft von Religionen ist, dass sie – je nachdem welches Volk sie praktiziert – eine kleine Änderung, eine Anpassung erhalten. So auch bei den Sioux.
Die Sioux tanzten in sogenannten „Geisterhemden", denen nachgesagt wurde, sie würden wie Schutzpanzer sogar die Kugeln der Feinde aufhalten. Durch diesen Faktor wurde der Geistertanz-Religion mit der Zeit die anfängliche Unschuld genommen. Jedenfalls begannen die Weißen, sich ernsthaft Sorgen zu machen, da nicht wenige der Indianer an diese Schutzpanzer glaubten!

So erging im Herbst 1890 der Befehl, die Armee in Bereitschaft zu versetzen und an jenen Orten aufmarschieren zu lassen, wo man glaubte, der Bedrohung am besten Entgegenwirken zu können. Dies wiederum veranlasste etliche Indianer, an ein bevorstehendes Massaker durch die Weißen zu glauben und die Reservationen zu verlassen. Sie flohen in die sogenannten Badlands, einer Gegend voller Schluchten und Felsen, östlich von den Black Hills gelegen.
James McLaughlin, ein Indianeragent, beabsichtigte daraufhin, Sitting Bull – den er dafür verantwortlich machte – verhaften zu lassen. Doch zunächst war unklar, ob dies durch die Armee oder durch zivile Instanzen bewerkstelligt werden sollte.
Diesen Umstand machte sich General Nelson Miles zunutze. Miles, der Indianeragenten hasste, erteilte dem Schausteller und Freund Sitting Bulls, Buffalo Bill Cody, den Auftrag, diesen durch das Versprechen von Geschenken zum nächsten Militärposten zu locken. McLaughlin sah darin eine Überschreitung von Miles Befugnissen und ließ die Sache von Seiten Washingtons rückgängig machen.

Am Morgen des 15.12.1890 umzingelten 40 Indianerpolizisten in McLauglins Auftrag die Hütte von Häuptling Sitting Bull. Sie zerrten ihn aus seinem Bett und erklärten ihm, er sei verhaftet. Es kam, nach einer Folge von Missverständnissen und gegenseitigen verbalen Angriffen, zum Eingreifen einiger Gefolgsleute Sitting Bulls. Einer von ihnen schoss auf den Indianer-Lieutnant Bull Head, der getroffen zu Boden fiel und dabei noch eine Kugel auf Sitting Bull abfeuerte.
Sergant Red Tomahawk, der hinter Sitting Bull stand, schoss diesem in den Kopf. In der folgenden Schießerei starben sechs Sioux-Polizisten und acht Anhänger Sitting Bulls. Sitting Bull war tot.
Einige Anhänger dieses letzten großen Häuptlings der Sioux flüchteten zum Lager der Miniconjou-Sioux, das sich ungefähr 150 km südlich befand und von Häuptling Big Foot geführt wurde. Auf Seiten der Weißen war man recht schnell überzeugt, dass Big Foot ein potentieller Aufrührer sei und erteilte Colonel Sumner und der achten Kavallerie den Befehl, ihn zu verhaften.

Auf dessen Frage, warum er feindlichen Indianern Unterschlupf gewährt hatte, erwiderte Big Foot, er habe 38 fußkranke, hungrige und im Winter fast nackte Männer und Frauen getroffen. Ein jeder Mensch mit Herz hätte ebenso gehandelt.

Dennoch wurden die Indianer gezwungen, die Soldaten in Richtung Camp Cheyenne zu begleiten, was diese – es waren über 300 Leute – auch ohne jeden Protest und Widerstand machten. Als sie jedoch in die Nähe ihres eigenen Dorfes gelangten, erklärte Big Foots Gruppe, sie würden nun nicht mehr weiterziehen. Big Foot war der Überzeugung, nichts Verbotenes getan zu haben, und rechtfertigte gegenüber Sumner damit die Weigerung, nicht mehr weiter zu wollen.
Noch in der nächsten Nacht aber flüchteten die Miniconjou in die Badlands, da sie durch Meldungen über Truppenverstärkungen der Weißen beunruhigt waren.
Am 28.12.1890 wurden sie von einer anderen Kavallerie-Abteilung gefunden. Die Indianer ergaben sich sofort, da sie zu keiner Gegenwehr fähig waren. Daraufhin wurden Big Foot und seine Leute zum Wounded Knee Creek getrieben. Die Soldaten bezogen rings um das dort errichtete Lager Stellung, bereit jederzeit loszuschlagen.

Am Morgen des 29.12.1890 schließlich nahm das Schicksal für die Indianer seinen Lauf. Die Soldaten, inzwischen waren es an die 470 Mann, versuchten die Indianer zu entwaffnen.
In einzelne Grüppchen eingeteilt mussten die wenigen Krieger in ihre Tipis und ihre Waffen herausbringen. Jedoch kamen nur zwei Karabiner zum Vorschein, woraus der kommandierende Colonel Forsyth schloss, dass die Indianer sich weigerten, ihre Waffen abzugeben.
Die Soldaten begannen daraufhin, die Tipis selbst zu durchsuchen, wogegen die Frauen sofort energisch protestierten. Es kam zu einem Durcheinander und hitzigen Geschrei, da die Weißen mit den Sachen der Indianer nicht gerade rücksichtsvoll umgingen.
Schließlich begann ein Medizinmann namens Yellow Bird, auf einer Adlerknochenpfeife zu blasen, was für seine Stammesbrüder das Zeichen war, Widerstand zu leisten.

Als die Krieger selbst durchsucht wurden, entlud sich die Anspannung. Ein junger Krieger zog einen Revolver hervor und begann um sich zu schießen, ohne jedoch jemanden zu treffen.
Innerhalb weniger Augenblicke wurden nahezu alle indianischen Krieger von den Soldaten niedergestreckt.

Für die schwierige Aufgabe des Tötens der Säuglinge, Kinder und Frauen mussten die Soldaten jedoch ihre Kanonen einsetzen. Die weißen Recken bewältigten dank ihrer Kanonen auch diese Aufgabe zufriedenstellend und ließen erst ab, als sich nichts mehr regte.

Es war der Tag, an dem die Sonne starb...